Wie ich gerade in meinen Ordner „Fanzineartikel“ auf meinem Computer schaue, sehe ich, dass ich lange kein Interview mehr gemacht habe. Schon komisch, wie sich das tägliche Brot verdienen auf seine Hobbys auswirkt. Tja, es einen manchmal sogar auffrisst.
Bei der Arbeit an der neuen Platte meiner Band ist es jedoch nötig geworden, ein Mitglied der Band HERMANN’S ORGIE ausfindig zu machen, weil wir eine Coverversion von ihnen auf eben jener veröffentlichen wollen. Allerdings gestaltete sich das gar nicht mal so leicht, denn im Internet ist kaum etwas über die Band zu finden.
Mit etwas kriminalistischen Geschick, welches ich wohl zum einen von meinem Vater geerbt und zum Anderen durch das sonntägliche Anschauen des Tatorts aneignen konnte, habe ich es dann doch aber irgendwie geschafft, Sänger Tom ausfindig zu machen. Da man ja aber ein Stück nicht einfach so covert und man ja auch gern herausfinden möchte, was hinter dieser Band steckt, lag es nahe, meinem Gegenüber ein paar Fragen zu stellen, die ich schon immer mal loswerden wollte. Leider hatte Tom so viel um die Ohren, so dass er die Fragen an Clement, den ehemaligen Bassisten weiterleitete. Der, mittlerweile in London lebend, hatte glücklicherweise etwas Zeit, meine Fragen zu beantworten. Es ergab sich ein ziemlich interessantes Gespräch, wie Ihr im Folgenden sehen werdet. Viel Spaß.
Hallo Clement. Durch stundenlange Netzrecherche habe ich es irgendwie geschafft, Dich ausfindig zu machen. Zuerst erreichte ich Tom, der am Telefon etwas überrascht klang, auf einmal nach über 30 Jahren mit seiner Vergangenheit konfrontiert zu werden, als ich nach einem Mitglied der Band HERRMAN’S ORGIE fragte. Ging Dir das genauso?
C: ich wurde gerade vor kurzem mit der 'Vergangenheit' konfrontiert, STEREO TOTAL hatten eine Cover Version von 'Moderne Musik' veröffentlicht (http://www.stereototal.de/music/parisberlin_de_info.html). Das war überraschend. Ich habe mir dann zum ersten Mal seit gut 30 Jahren die Musik mal wieder angehört und war noch mehr erstaunt festzustellen, dass mir einige Titel immer noch sehr gefallen.
Ich hatte zuerst Tom kontaktiert, der aber die Fragen an Dich weitergeleitet hat. Warum überlässt er Dir das Interview? Hatte er keine Lust, dazu noch Fragen zu beantworten oder hat er so viel zu tun?
C: Ich nehme an, Tom hat einfach sehr viel um die Ohren, im wahrsten Sinne des Wortes…
Über Eure Band ist im Internet sehr wenig zu finden. Es gibt eine halbherzige MySpace – Seite, die seit 2004 nicht mehr aktualisiert wird und hier und da ein paar Verweise auf die alten Platten. Warum kann man nicht mehr finden?
C: Diese MySpace Seite ist nicht von uns eingerichtet worden und auch nicht autorisiert. Wir denken aber drüber nach, noch mal etwas Hübsches zu machen.
Da ja nicht so viel zu finden ist, erzähl doch mal bitte kurz einen Abriss der Bandgeschichte (Gründung, Umfeld, Namensgebung, Auflösung, …)
C: Tom und ich hatten schon mit 14 zusammen musiziert. Wir hatten die Glam Rock Phase mit BOWIE, NEW YORK DOLLS und ROXY MUSIC gerade hinter uns und wollten selber Musik schreiben. Rock natürlich, und mit englischen Texten. Zwei Jahre später kam dann Punk auf, musikalisch änderte sich damit alles. Ich hatte die DAMNED in der Markthalle gesehen und Tom hatte die erste CLASH LP. Auf Parties ließ man einfach die ersten drei RAMONES Scheiben ohne Unterbrechung durchlaufen. Eine großartige Zeit, mit fantastischen Gigs in Hamburg, wir fühlten uns als wären wir allen 10 Jahre voraus. Punk hatte etwas Futuristisches. Kurze Haare waren in den 70ern eine Provokation, selbst unsere Lehrer hatten alle mindestens kragenlange Frisuren. Es gibt nichts Besseres als mit 16 Jahren in der Zeit einer musikalischen Revolution zu leben.
Trotz allem hatten wir nicht gleich den Impuls eine Punkband zu gründen. Es gab reichlich deutsche Bands die Englisch sangen aber das schien uns zu albern. Wenn schon deutschen Punk dann musste es auch Deutsche Texte haben. Das war wohl die einfachste Sache der Welt aber es hat lange gedauert bis wir uns tatsächlich trauten. Die deutsche Sprache war noch weitgehend mit dem deutschen Schlager synonym. Es war kein einfacher Schritt, und deutsche Reime zu schmieden schien schwieriger als Englisch und passte nicht so gut zur Musik - dachten wir zumindest. Letztendlich ging es besser als wir gedacht haben, trotzdem waren Bands die deutsch sangen selten zu der Zeit. Meine Freundin kam dann mit dem Namen HERMANNS ORGIE' auf, aus Spaß, wir wollten etwas Surreales und Witziges und das passte prima.
Dazu muss man sagen dass in Deutschland in den 70ern wenig gute Musik zu hören war. Im Radio gab es 'Musik für junge Leute' und sonst fast nichts. Die Musikpresse bestand aus Bravo, und ein Magazin, das 'Pop' hieß. Nur 'Sounds' brachte Berichte von der aktuellen Musikszene in den Staaten und in England.
Während bei der ersten LP 4 Bandmitglieder erwähnt werden, scheint es bei der Nachpressung, dass nur Du und Tom Mitglieder der Band gewesen seid. Ihr bedankt Euch dann „nur“ beim Trommler und dem Saxophonisten. Ward Ihr eigentlich eine 2-Mann-Band?
C: Tom und ich waren immer der Kern von HO und Schlagzeuger zu finden war immer schwierig. Wir wohnten in einem Hamburger Vorort und die meisten Schlagzeuger in der Provinz lebten noch im Prog-Rock Zeitalter. Carl Palmer war der Held des Kleinstadt-Drummers, nicht Rat Scabies. Wir fanden letztendlich Frank, der vorher in einer Tanzband gespielt hatte. Das gab unseren Songs einen leichten Disco Touch. Frank war auch noch nicht 16, deshalb ließen ihn seine Eltern nicht nach 10 Uhr abends in Kneipen auftreten. Zudem waren auch wenig Lokale bereit Punk Bands auftreten zu lassen. Wir hatten wenig Beziehungen zu der Hamburger 'in-crowd', oder genauer gesagt, wir hatten überhaupt keine Beziehungen.
Besteht denn noch Kontakt zu den anderen ehemaligen Musikern außer zu Tom? Was machen sie heute?
C: Nicht viel. Frank, der erste Trommler, hat mich mal über Facebook kontaktiert. Sonst nichts. Ich glaube Frank ist jetzt ein Mega-Producer im populären Musikbereich.
Eure Platten werden bei eBay immer noch zu horrenden Preisen verkauft. Wie groß war denn damals die Auflage. Es gab dann nochmal die Nachpressung mit schwarzem Cover, aber auch die ist nicht billig zu haben. Schon mal darüber nachgedacht, sie nochmals oder gar als CD zu veröffentlichen?
C: Wir haben es überlegt, aber die Zeit und das Geld, das erforderlich wäre macht es z. Zt. nicht möglich. Außerdem fehlen die originalen 8-Spur Aufnahmen...
Also wenn, dann würdet Ihr das liebevoll gestalten wollen und nicht einfach nur „von LP auf CD überspielen wollen“. Sehe ich das richtig? In dieser Hinsicht hat das Hamburger Label WEIRD SYSTEM tolle Sachen herausgebracht (z.B. die tollen Zusammenfassungen mit SLIME, NEUROTIC ARSEHOLES, TEMPO, etc.…). Da man ja ursprünglich aus derselben Stadt kommt, würde sich sowas ja vielleicht anbieten…
C: Ja, die Plattensammler, die die Original Scheibe haben, dürfen sich freuen, eine simple Neuauflage wird es nicht geben. Wenn überhaupt, würden wir das völlig überarbeiten und so machen, dass es uns heute gefällt und Spaß macht, daran zu arbeiten. Reine Nostalgie liegt uns nicht am Herzen, und mit den Musikpuristen, die nur die Originalaufnahme als authentisch betrachten, haben wir auch nichts am Hut.
Einige Lieder waren durch den Verlust der Bänder völlig verloren gegangen und ich würde gerne ein paar Stücke neu aufnehmen um zu sehen, wie sie klingen und ob die Lieder als Kompositionen noch Sinn machen. Danach muss man sich fragen: 'Mache ICH eigentlich noch Sinn? Macht es noch Spaß?' Und für all das braucht man halt Zeit, und die ist für uns Mangelware. Leider. Aber wer weiß, wir sind ja noch jung...
Wenn man im Netz ein wenig recherchiert bekommt man interessante Gerüchte zu hören. Z.B.: „.. dass der Band deshalb der große Erfolg versagt blieb, weil sie trotz Einladung zum "In die Zukunft"-Festival in der Hamburger Markthalle dort nicht auftraten - ihr Bassist (also Du) hatte seinen Winterurlaub schon gebucht und konnte ihn nicht stornieren!“ und „Ihre LP hat kultur-historischen Wert, weil sie u.a. DDR-Radio- und -Fernsehnachrichten verwendeten.“ . Was hat es damit auf sich?
C: Ich war in den Urlaub gefahren und Tom wollte mich von Hamburg aus in die Schweiz fahren um mich für den Abend abzuholen. Wahnsinn. 'Erfolg' hatte keine Bedeutung für mich, ich war gerade 18 Jahre alt und hatte meinen ersten Urlaub zusammen mit meiner Freundin. Das hatte Priorität. Die 'in die Zukunft' Festivals waren sehr merkwürdige Veranstaltungen mit ihrer Mixtur von Hardcore Punk und experimentellen New Wave Bands. Wir wären da irgendwie in der Mitte gelandet. Keine Ahnung ob uns das irgendwie geholfen hätte. Die 'Moderne Welt' LP war meiner Meinung nach so-oder-so ein Riesenerfolg für eine Punkband mit deutschen Texten, vor allem weil alles selbstproduziert und finanziert war. Tom hat da ganz fantastische Arbeit geleistet. "Punk" war aber mittlerweile auch schon gestorben. Das konnte man schon daran erkennen, das überall 'Punk's not dead' Graffitis auftauchten. In der Punk Szene hatte sich die Lederjackenuniform durchgesetzt. In der Markthalle tauchten die ersten Neo-Nazi Punks auf, die 'Subway Army', die ironischerweise von einem Farbigen angeführt wurden. Plötzlich war man in Schlägereien vor der Bühne verwickelt und die Musik wurde ein wenig schal. Und danach kam die 'Neue Deutsche Welle' und der Rest ist Geschichte...
Und was ist mit den DDR – Radio- und TV-Nachrichten? Was war da?
C: Das DDR Radio hatte uns fasziniert, die Identitätslosigkeit und Monotonie der Sprecher; die Situation, in der ein Land geteilt war mit zwei konkurrierenden Systemen... Ich weiß nicht ob man sich das heute noch vorstellen kann, aber es hatte schon damals einen sehr surrealen Touch. Es gab, nur wenige Kilometer entfernt, eine völlig andere Welt hinter einer hohen Mauer. Und alles was man davon zu hören bekam waren diese Roboterstimmen. Es war halt die Zeit des 'Kalten Krieges'. Das war unsere Erfahrung zu der Zeit. Verwirrung. Kontraste. Heutzutage müsste man die natürlich anders ausdrücken. Die 'Moderne Welt', hat sich vielleicht nicht viel verbessert, aber sie hat sich schon sehr verändert.
Und dort wurdet Ihr im Radio auch gespielt!?
C: Meinst Du im Osten oder Westen oder allgemein? Im Osten sind wir natürlich nicht im Radio gespielt worden... Wir sind unseres Wissens nur im West-Rundfunk gespielt worden, und da auch nur selten da wir nicht in der Gema waren (oder sind), d.h. ein Radio Sender musste vor spielen der Platte mit uns einen Vertrag machen.
Man findet auch relativ wenig Live-Reviews. Ward Ihr eher eine „Studio-Band“ oder habt Ihr schon des Öfteren Live gespielt. Wo seid Ihr überall gewesen? Eher im Raum Hamburg oder auch Deutschlandweit?
C: Außerhalb Hamburgs sind wir nie aufgetreten. Wie gesagt wir hatten keine Beziehungen oder Kontakte zu irgendwelchen Promotern.
Wenn wir Gigs erhaschen konnten waren diese meistens in den Vororten Hamburgs oder in Läden die nicht wussten, was Punk Rock war. So hatten wir dann einen Auftritt in den 'Hafenkasematten', damals Hamburgs ältester Jazzschuppen. Da haben wir dann vor drei entsetzten Jazzliebhabern gespielt. Die Aufnahmen davon haben wir für unsere erste selbstproduzierte Single verwendet (http://www.youtube.com/watch?v=tE6YFVp_bJU). Es wird niemanden überraschen, zu hören, dass wir danach nicht wieder in die 'Hafenkasematten' eingeladen wurden. Die Szene war auch ziemlich hart da, die Punks immer Ärger mit Teds und den St. Pauli Zuhältern hatten. Bei einem Gig in Bergedorf hatten wir auf einmal ca. 20 Teds im Publikum, die gehört hatten das eine Punkband auftreten würde, und versammelten sich drohend vor der Bühne und wir waren froh einigermaßen heil da raus zu kommen. Bin auch selber manchmal von Teds über den Hamburger Dom gejagt worden, aber sobald man in das Karolinenviertel kam war man sicher. Dort waren alle Kneipen die die Punks besuchten und das 'Rip Off', ein unabhängiger Plattenladen der auch heute noch besteht.
Anfang der 80er Jahre wurde dann wohl auch Euer privates Tonstudio ausgeraubt. Wie habt Ihr das verkraftet? Wurden die Täter jemals gefunden? Ihr habt ja auch die erste SLIME-Single veröffentlicht. Das waren ja die Bänder dann vermutlich dabei.
C: Nachdem das Studio ausgeraubt worden war, war es schwierig weiter zu machen. Die Situation war deprimierend und finanziell drückend.
Der Raub wurde ein paar Tage vor Inkrafttreten der Versicherung ausgeführt. Die Täter wurden nicht ausfindig gemacht, viele Wochen Arbeit waren verloren und es gab keine finanzielle Entschädigung.
Um die Schulden zu tilgen, musste die LP erscheinen, Tom schaffte mit den verbliebenen Mastertapes ein kleines Meisterwerk zu zaubern, aber trotzdem war es nicht das geworden, was wir erhofft hatten. Zusätzlich musste ich nach Berlin ziehen - aus Gründen, die allen, die alt genug sind, klar sein werden. Punk war zudem schon lange tot. Wir hatten andere Projekte die mehr experimentell, und für uns aufregender, waren. Tom hatte die 'Tonträger' und ich machte minimale Synth-Musik mit 'Tse Tse' (http://www.reverbnation.com/eplay/artist_890706).
Berlin hat mir nicht gefallen. Mit der Mauer und den Wachtürmen war es sehr klaustrophobisch (Tom hat das auch in 'Wir geh'n nach Berlin' sehr gut beschrieben). Ich bin dann nach London ausgewandert. London war immer mein musikalisches Mekka gewesen und ich habe dort immer in diversen Bands gespielt, ohne nennenswerten Erfolg, aber es machte alles nichts, denn ich lebte den idealen 'Punk' Lebensstil in netten Squats mit Drogen, Parties und viel Rock'n'Roll… bis vor einigen Jahren habe ich noch mit Garagepunk Bands gespielt und habe beim DIRTY WATER CLUB mitgeholfen, einem der letzten, wirklich der Musik gewidmeten Music Clubs in London (http://www.dirtywaterclub.com).
Das war damals sehr frustrierend und hat uns sehr viel Schwung genommen. Die geklaute Technik haben wir viel später dann nach und nach ersetzen können. Verloren gegangen waren aber auch ein halbes Dutzend Mastertapes unveröffentlichter Sachen. Das hat vielleicht zwei oder drei Hamburger Punkbands die „Karriere“ gekostet.
Aber für SLIME hat es wenigstens gereicht….?! Ward Ihr sozusagen teilweise auch „Wegbereiter“ für einige Bands?
C: Ja, SLIME waren ein Erfolg, einfach deshalb weil die Jungs prima Songs hatten, die provokativ und zum mitsingen geeignet waren. Die 'Bullenschweine' Single ist ein wahrer deutschsprachiger Klassiker.
Im Endeffekt waren viele in der Szene für die kleinen Erfolge verantwortlich. Die Bands, die Plattenläden die die Platten führten, die unabhängigen Vertriebe und natürlich die Labels, die das Geld zusammenkratzten um die Produktion und Pressung zu finanzieren. Es gab in dieser kleinen Szene einen sehr hohen Prozentsatz an kreativen Enthusiasten die nicht warteten bis sie vom System bedient wurden.
Ihr habt dann nochmal einen Neuanfang mit NEULAND versucht. Warum hat das dann nicht mehr funktioniert?
C: Das hat schon noch funktioniert. Aber Mitte der 80-er war die eigentliche Herausforderung nicht mehr, Platten nur zu veröffentlichen, sondern diese auch zu verbreiten. Also auch darüber nachzudenken, wie man Läden wie Karstadt dazu bringen könnte, Indie-Platten ins Regal zu stellen. Das klingt heute selbstverständlich - das war es damals aber überhaupt nicht. In den ersten Jahren des Punkrock waren die Platten nur über sehr wenige Läden zu bekommen. In vielen kleinen Städten gab es schlichtweg keine Möglichkeit an solche Musik zu kommen. Da half nur hin und wieder die Pilgerreise nach Hamburg, Berlin oder sonst eine größere Stadt in der Nähe. Tom hatte sich ab 1985 bis einschließlich 1998 (in verschiedenen Konstellationen) um den Vertrieb von Indie-Platten gekümmert.
Tom betreibt ja derweil ein Masteringstudio und mastert alles von BLÜMCHEN bis zu den SKATOONS. Er ist also immer in der Musik verwurzelt geblieben. Wie sieht es bei Dir aus? War das Dein Ziel oder hat sich das so ergeben?
C: Ich habe mein ganzes Leben lang Musik und Lärm gemacht und mache das auch noch heute. Auf dem Computer jetzt natürlich hauptsächlich, aber irgendwann werde ich sicher auch wieder 'ne Band gründen und zurück in den Übungsraum gehen. In 'ner Band zu sein ist zwar 90% Streit und harte Arbeit aber irgendwie vermisst man das. Und auf einer Bühne zu stehen ist fantastisch, selbst wenn es nur in der Kneipe um die Ecke ist.
Clement, Du lebst mittlerweile in London. Was machst Du? Liegt es nahe, wenn man in Hamburg wohnte, in die Welt hinauszuziehen?
C: Ich war damals in Berlin 'gestrandet', ohne Perspektiven. Dann bin ich für eine Woche, auf Urlaub, nach London gefahren, und nicht zurückgekommen. Als Hamburger fühlt man sich vielleicht sowie so schon ein wenig im Angelsächsischen zuhause, und London war in den frühen '80ern ein fantastischer Ort für jemanden der jung ist, und außer Musik nicht viel im Kopf hat. Die Stadt war ein Spielplatz, ein Fest fürs Leben, mit Konzerten, Clubs und Parties. Hausbesetzen war legal, so konnte man günstig wohnen und die Arbeit auf das nötigste beschränken. Und die Londoner waren extrem aufgeschlossen und aufnahmebereit.
An eine 'Karriere' war während dieser Zeit natürlich nicht zu denken. Mitte 30 habe ich dann noch schnell was studiert, und kurz danach kam dann das Internet. Es war wieder „Stunde Null“. Da hatte am Anfang keiner viel Erfahrung. Ich habe bei Apple im web-Team Arbeit gefunden und arbeite auch heute noch mit Web-Design. Der ex-Punk hat sich also halbwegs erfolgreich in die bürgerliche Gesellschaft wieder eingegliedert. Und Musik machen wir trotzdem noch. Es lebe die Technologie!
Hamburg wird nie aufhören mich zu faszinieren, aber ich bin da heutzutage nur noch Tourist. Persönlich würde ich jedem empfehlen, wenigstens einmal im Leben in ein anderes Land zu ziehen.
In Zeiten von Reunions – habt Ihr schon mal daran gedacht, wieder mal ein paar Konzerte zu geben. Es gibt ja schon ein paar Leute, die das hören wollen würden….
C: Haben wir nicht dran gedacht und das würde auch aus organisatorischen Gründen nicht gehen, von den persönlichen Implikationen ganz abgesehen. Wenn überhaupt, würden wir ein paar arbeitslose Jugendliche anheuern, denen Instrumente in die Hand drücken und unter dem HERMANNS ORGIE Namen auf Tour schicken! Dann könnten wir uns das Ganze von der Bar aus ansehen und mitlallen... Das wäre doch 'ne viel bessere Idee.
Haha. Das wäre ne Idee… Man blickt ja oftmals etwas wehmütig in die eigene Vergangenheit zurück. Was vermisst Du aus den alten Tagen und was hast Du Dir bewahrt?
C: Wir vermissen die besondere Wertschätzung der Musik im Allgemeinen und des Tonträgers im Besonderen. Mit dieser Wertschätzung sind wir aufgewachsen. Die Musik der Hippies und zu einem geringen Ausmaß auch die Musik der Punks hatte die Kraft, das Weltgeschehen zu beeinflussen. Von einer solchen Kraft kann in der heutigen Musikkultur nicht die Rede sein.
Clement, Vielen Dank für das Interview!
Mieschka Mayonaise
Fotos: Rüdiger Ladwig